Ich forschte sowohl in historischen Schriften als auch in der Psychologie nach Denkansätzen, um Christianes und Wilhelms Beziehung zu verstehen.
Schwachheit, Sensibilität und Verletzlichkeit werden schon sehr lange dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben. Aber warum eigentlich?
Von Jungen wurde, und wird auch häufig heute noch, erwartet, Sensibilität zu unterdrücken und unverwüstlich stark zu sein.
Die Schwäche, die ein Junge in sich selbst erlebt, muss also verschwinden.
Ein psychischer Mechanismus, der das möglich macht, ist die Projektion nach außen. Das heißt, das eigene Schwache wird nicht erlebt, sondern in anderen Menschen gesehen, in Mädchen und Frauen. Dort können Jungen und Männer es wahrnehmen, zulassen und sich im Kontrast dazu stark erleben.
Seit Jahrhunderten basiert die Zweiteilung der Geschlechter auf diesem Prinzip.
Plötzlich sah ich klarer, was in der Beziehung zwischen Christiane und ihrem Bruder abgelaufen sein könnte, weil es in den meisten Beziehungen damals so war:
Brüder hatten Schwestern, die sie stützen. Mädchen wurde beigebracht, sie seien das schwache, sensible, feinsinnige Geschlecht.
Sie übernahmen dieses Bild, indem sie sich nach außen angepasst und dienend gaben. Ihre Intelligenz und Stärke konnten sie nur indirekt zum Ausdruck bringen, durch Hilfe, Unterstützung und Aufopferung.
Auch Wilhelm Hegel sagte später über die Frauen, sie wären eher dem Pflanzlichen zuzuordnen. Mit dieser Aussage war er ein Kind seiner Zeit.